Vortrag – Ein lyrisch-musikalisches Porträt in der Reihe „ErLesenes“ in der Conerus-Schule
Paula Quast und Henry Altmann erinnern an eine Dichterin
NORDEN/ISH – Es ist ein Abend für Mascha Kaléko, für eine Dichterin, die in der Versenkung verschwinden könnte, gäbe es nicht Menschen wie Paula Quast und Henry Altmann. Paula Quast erzählt von ihr, 17 Jahre schon rezitiert sie ihre Gedichte überall in der Republik, Henry Altmann spricht von ihr durch seine Musik. Jetzt erlebten viele Gäste das lyrisch-musikalische Porträt der heimatlosen Mascha Kaléko im Rahmen der Reihe „ErLesenes“ an der Conerus-Schule in Norden.
Es ist ein Abend, in dem alles ineinanderfließt. Paula Quast erzählt ein wenig aus der Lebensgeschichte der Poetin, nicht mehr als kurze biografische Eckdaten. Alles andere ergibt sich durch die Gedichte, die sie vorträgt, sie sind die eigentliche Lebensgeschichte, wie ein Tagebuch. Gedanken, Gefühle, oft aber auch die einfachen Gegebenheiten um sich herum hat Kaléko darin festgehalten.
Paula Quast ist in dieses Leben eingetaucht und gibt es wunderbar direkt weiter. Sie kommt, schwarz gekleidet, setzt sich an den kleinen vorbereiteten Tisch, vor sich das Wasserglas und eine Kerze. Die zündet sie selbst an, als sei dies der genau der Moment, da Mascha Kaléko selbst hier sitzt und von sich erzählt.
„Sie sprechen von mir nur leise…“ beginnt Quast mit Kalékos Gedicht „Der Fremde“. Genau so erzählt sie, eher zurückhaltend, sanft, nie übertrieben betonend, sondern die einzelnen Worte in ihrer Natürlichkeit selbst wirken lassend. Zwischendurch immer wieder der direkte Blick ins Publikum, das Warten, das Verharren, das Ausklingen lassen der Laute. Ganz bewusst macht Paula Quast Pausen vor wesentlichen Substantiven, die dem Vers eine neue Richtung geben.
„… ich bin der Fremde im Dorf“, endet das erste Gedicht. Paula Quast hat bewusst diesen Anfang gesetzt, sie will klarmachen, welches Grundmotiv sich durch das Leben und damit Werk der Künstlerin gezogen hat: Heimatlosigkeit. Eine Frau, die erst am Lebensende dorthin zurückfand, wo sie vielleicht eine Heimat hätte haben können: Berlin. Von hier musste sie in der Nazizeit fliehen, nicht nur aus dem Land, sondern später auch aus der Sprache. In Veröffentlichungen ist immer wieder von ihrer Einsamkeit in Jerusalem die Rede, wo sie ab 1960 mit ihrem Mann lebte. Wie muss es sein, wenn man weggejagt wird aus dem Land, in dem man zu Hause war, welcher Art ist das Gefängnis, wenn man selbst eine Sprache spricht, die um einen herum keiner versteht und die vor allem auch keiner mehr hören will?
Wenn man wie Mascha Kaléko ein so inniges Verhältnis zu Worten hat, muss es eigentlich die Hölle sein. Da überrascht es fast, dass sie immer so einfach, so direkt geschrieben hat, ihre Gedanken auf den Punkt gebracht, ohne Zorn, ohne Wut im Bauch. In wenigen Zeilen hat sie alles erzählt: Die Tatsachen, ihre Gedanken, ihre Schlussfolgerungen. Und immer ist da auch ein Hauch Ironie, man sieht förmlich ein verschmitztes Lächeln irgendwo in den Mundwinkeln – und hatte das nicht auch Paula Quast den ganzen Abend über im Gesicht, egal wie nachdenklich sie schien da vorn am Tisch?
„Ich möchte nicht mein Kind gewesen sein…“ rezitiert Quast ein Gedicht, das „Interview mit mir selbst“. Da schmunzelte jeder in der Pausenhalle der Conerus-Schule und dachte zurück. Es ist die Zeit, da die junge Kaléko im Büro arbeiten musste statt zu studieren, wo sie gern die Welt kennengelernt hätte – aber sie reist nur mit dem Finger auf der Karte. Wörter, Sätze, die wir alle gebrauchen, Gedanken, die wir alle mal wälzen, aber Kaléko hatte die Gabe, sie wunderschön zusammenzusetzen. Sie erzählt schnörkellos, manchmal von den Geschehnissen der Welt, dann wieder von den Kleinigkeiten im Alltag, und überall stecken Wahr- und Weisheiten, die die Zeit überdauert haben: „…Tod tut nicht weh, nur das Sterben …“
Nicht nur die Texte und die Art des Vortrags sind an diesem Abend wie eine Art Kleinod, dazu gehört auch Henry Altmanns Musik. Die darf nicht losgelöst betrachtet werden von Quasts Vortrag. Altmann beginnt den Abend: summend, dann mit dem Bass begleitend. Sie klingen sehr eigenwillig, sehr versonnen, die ersten Töne, so gar nicht harmonisch. Aber war Mascha Kalékos Leben harmonisch? Nach den ersten Gedichten, den Erzählungen aus Kindheit, Jugend, Erwachsenwerden verändern sich die Töne. Melodischer wird es, rhythmischer, klangvoller, auch die Musik verändert sich vom störrischen Kleinkind zum jungen Erwachsenen, der seinen Weg geht.
Immer setzt Altmann mit Bass, Glockenspiel, Piano die Akzente zum Text. Zu Quasts Worten über einen sterbenden Mann lässt er ein Metronom laufen, es ist, als poche das Herz des Mannes für die Dauer des Gedichts – und irgendwann hält Altmann das Gerät an.
Das Programm über Mascha Kaléko ist nicht lang, eine gute Stunde nur, aber es wirkt nachhaltig, Paula Quast und Henry Altmann haben die Dichterin nicht nur für eine Stunde aus der Versenkung geholt, sondern ihre Worte dauerhaft den Zuhörern mitgegeben. Die genossen still den kurzweiligen Abend, den der Förderverein der Schule zusammen mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft – AG Aurich organisiert hatte. Kein Geräusch war während des Vortrags zu hören, jeder lauschte, um ja kein Wort und keinen Ton zu verpassen.
Schüler und Schülerinnen der Schule hatten schon vorab für das leibliche Wohl der Besucher gesorgt.
Text und Fotos: Irmi Hartmann
Erschienen: Ostfriesischer Kurier, 23.02.2013
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