Ein denkend Weib ist dem Manne ein Ekel

Paula Quast und Henry Altmann zeichnen ein lyrisch-musikalisches Porträt der Dichterin Hedwig Lachmann

Das ist ja nun nichts Neues. Frau, begabt, kreativ mit eigenen Ideen wird wohl wahrgenommen, findet  eventuell auch eine gewisse Anerkennung, kommt letztlich aber nicht recht zum Zuge. Irgendwann ist sie vergessen. Mitunter werden ihre Leistungen von den Nachgeborenen als außerordentlich gewürdigt. Ansonsten eher: dead and gone. Muss man noch Beispiele nennen? Nein, muss man nicht. Aber manchmal hat man Glück. Da zerrt jemand die Leichendecke des Vergessens fort und man entdeckt eine Person, deren Biographie und Werk Fragen über Fragen aufwirft.

Kennen Sie Hedwig Lachmann (1865-1918)? Wäre ein Wunder. Höchstens wenn Sie Balzac- oder Poe- oder Oscar Wilde-Kenner sind! Oder gar Richard Strauss‘ Salome-Libretto studiert haben! Vielleicht ungarische Lyrik des 19. Jahrhunderts lesen? Man kann schon erkennen: Eigentlich ist Hedwig Lachmann nicht unbekannt. Aber Übersetzung gilt nicht viel im literarischen Betrieb. Was ihre eigene Autorenschaft betrifft, ihre Gedichtproduktion vor allem, davon ist wenig bekannt. Sie ist also eine ein Art Untote.

Das zu ändern, haben sich zwei Künstler aufgemacht: die Schauspielerin Paula Quast und der Musiker Henry Altmann. Am Montagabend gastierten sie in der Helmstedter Sudstube im Rahmen einer von Martin Wandersleb kuratierten Kleinkunstreihe. „Wir haben das Schweigen verlernt!“, so der Titel der Präsentation. Nur – kündigt sich damit nicht schon die Krux Lachmanns an? Schweigen lernen? Quast führte einleitend aus, dass Lachmann nicht darauf aus gewesen sei, sich zu verkaufen. Still und stark sei sie gewesen, so die zeitgenössische Kritik. Selbst schuld also am Vergessen-Werden?

So einfach ist das nicht. Ihre Lyrik liegt eigentümlich quer zu der ihrer schreibenden Zeitgenossen, hat eher am Rande Anteil an Stilmoden. Etwas, was ihrem langjährigen Freund und Dichter, Richard Dehmel, nicht gefallen wollte. Sie möge doch auf der logischen Höhe ihrer Zeit stehen, nicht der Frauenlogik folgen, forderte er. Aber genau dem widersetzte sie sich. Stattdessen wollte sie immer auf der Höhe ihrer selbst sein. Kompromisslos erforschte sie ihre widersprüchlichen Gefühle und deren Hintergründe und verstand es, sie in eine Sprache zu transformieren, die zugänglich ist. Es ist viel Gedankenlyrik, mal formal streng gebunden, dann wieder reimlos und rhythmisch frei, vor allem aber klanglich eindrucksvoll gestaltet.

Das wurde dann besonders sinnfällig, wenn Quast und Altmann gemeinsam agierten. Die Sprachmelodie fand ihre Entsprechung in Altmanns feinfühligem Bassspiel, mal gestrichen, mal gezupft. Quasts Textauswahl zeigte viele Facetten des Lachmannschen dichterischen Werkes. Harsche Gesellschaftskritik, Naturliebe, Anti-Kriegs-Gedichte, die Gefühle der Liebe, der Trauer und Hilflosigkeit, und immer wieder ihre Rolle darin als eigenständige Frau.

Es ist nicht einfach, derartigen, nicht auf eine Pointe hinauslaufenden Texten zu folgen. Quasts professionelle Vortragsweise war da hilfreich. Aber auch Altmanns Solo-Überleitungen, gleich ob am Keyboard oder am Kontra-Bass, schufen gewissermaßen Denkpausen. Mal atmosphärisch unterstützend, dann wieder kommentierend, zeigte Altmann, welch feines Melodieinstrument ein Bass sein kann.

Warum also, so musste man sich am Ende des Programms fragen, gehörten diese Texte beinahe zu den vergessenen? Eine Frau, eine Jüdin zumal, die denkt, widersteht, politisch radikal humanistisch sich engagiert, keines Mannes Spielzeug und doch auch Frau und Mutter sein wollte – das entsprach nicht dem „logischen Höhepunkt der Zeit“ und wurde bestraft. Aber dank der Quast-Altmann-Tour ist Hedwig Lachmann dem Vergessen (ein wenig) entronnen, was das diesmal nicht so zahlreich erschienene Publikum zu anhaltendem Beifall veranlasste.

Klaus Gohlke, Helmstedt, 11.03.2015

 

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