Jüdische Märchen: Wenn die Gier nach Gold gefährlich wird

Paula Quast und Henry Altmann webten Klangteppich aus jüdischen Märchen

SIEGBURG. „Sie müssen sehr aufpassen, dass Sie die Pointe nicht verpassen“, mahnte Claudia Arndt, Geschäftsführerin des gastgebenden Vereins „Landjuden an der Sieg“. Doch dieser Appell an die Aufmerksamkeit des Publikums wäre nicht nötig gewesen. Gebannt verfolgte das Publikum im Stadtmuseum die Lesung von Paula Quast, die jüdische Märchen lebendig werden ließ – und zwar so, dass kein Wort verloren ging. Im Duo mit dem Musiker Henry Altmann entstand ein Klangteppich, in dem die dunklen, verhaltenen Töne überwogen. Melancholisch grundiert sind viele dieser Geschichten, die von Armut und Schicksalsergebenheit handeln, manchmal gewürzt mit lapidarem Witz. Ein glückliches Ende ist keineswegs garantiert. Zuweilen bleibt ein bitterer Beigeschmack zurück, etwa in der Erzählung „Das Zinnschwert“, die einen Ausspruch des Königs Salomo erklären soll und in dem die Frauen schlecht wegkommen, was Paula Quast mit einem kurzen „Böse“ quittierte.

Mit jüdischem Humor kam die Hamburger Schauspielerin in Berührung, als sie ihre Programme zu den Lyrikerinnen Hedwig Lachmann und Mascha Kaléko recherchierte. Ihre ausgewählten jüdischen Märchen begreift sie als Charakterstudien. Dazu geriet etwa die Parabel über die Feindschaft zwischen Hund und Katze, die Henry Altmann am Klavier hintersinnig mit dem verfremdeten Standard „You don’t know, what love is“ illustrierte. Jazz, Barock und Volksmusik schickte Quasts musikalischer Begleiter durch den Zerhacker, spielte mit der Linken vertrackte Rhythmen, während er mit der Rechten der Tuba schräge Motive entlockte; oder er ließ aus einer Röhre den Wind heulen – suggestiv und stets im Rhythmus der Erzählung.

So verwandelte sich die Geschichte von der „Kupferfigur“ in ein kleines Drama, in dem Quast mit hohler Stimme den Geist des Götzenbildes beschwor. Geschickt setzt die Erzählerin Pausen, sinnt einzelnen Sätzen nach, gestaltet unterschiedliche Stimmen, ohne je zu überzeichnen. So folgte ihr das – leider sehr überschaubare – Publikum gern auf den gewundenen Pfaden durch die orientalische Märchenwelt, in der man archetypische Motive wiedererkannte: die Gier nach Gold etwa, die den armen Holzfäller fast das Leben kostet. „Der Mann, der zum Essen kam“ dagegen erzählt von der Gastfreundschaft des Orients. In der Wüstenregion eine zum Überleben notwendige Tugend, keine Last. Doch wenn der Gast partout nicht gehen will, bis auch das letzte Hähnchen geschlachtet ist? Selbstverständlich, so folgert man, wird der Gastgeber die Contenance wahren. Das jedenfalls suggerierte Paula Quast mit ihrer klaren, kontrollierten Körpersprache.

Text: Annette Schroeder
Erschienen: Rhein-Sieg-Rundschau, 18.05.2016